Meißen hat eine bislang unbekannte Stadt-Chronik aus dem frühen 18. Jahrhundert erworben.
Dresdner Neueste Nachrichten, Sonnabend/Sonntag, 24./25. April 2021
Von Sören Hinze
Meißen. Meißen hat für 15 000 Euro eine umfangreiche Chronik erworben. Sie umfasst über 1000 Seiten und stammt aus dem frühen 18. Jahrhundert. Am Freitag präsentierten Archivar Tom Lauerwald und Oberbürgermeister Olaf Raschke (parteilos) das Schriftstück. „Der Verfasser hat über 20 Jahre an dem Werk gearbeitet“, weiß der Oberbürgermeister.
Zuletzt schlummerte das dicke Buch in einem Hamburger Antiquariat. Der Inhaber bot es zunächst der Sächsischen Landesbibliothek an. Zu einem Ankauf kam es jedoch nicht. Aber die Aufmerksamkeit der Meißener Otto-und-Emma-Horn-Stiftung wurde geweckt. Sie fördert unter anderem Projekte der Denkmalpflege, Kultur und Bildung. Mit ihrer Unterstützung konnte die Stadt Meißen einen Kaufpreis von 15 000 Euro aushandeln und die Chronik in die Heimat zurückführen. In Meißen soll sie für nachfolgende Generationen erhalten bleiben und der Bürgerschaft zur Verfügung stehen.
Das Unikat stammt aus der Feder des kursächsischen Historikers Johann Conrad Knauth, der 1662 in Meißen/Cölln geboren wurde. Sein Vater, der aus Moritzburg stammende Pfarrer Johann Knauth, wirkte in den Städten Meißen, Dippoldiswalde und Moritzburg. Auch der Bruder des Verfassers ist bekannt: er studierte in Wittenberg und war dort als Bibliothekar tätig. „Es handelte sich um eine typische Familie des Bildungsbürgertums“, erklärt Archivar Lauerwald.
Das Werk ist in acht Kapitel unterteilt und wurde von Johann Conrad Knauth engzeilig mit der Hand geschrieben. Er habe komplex den Wissensstand der damaligen Zeit zusammengetragen, resümiert Lauerwald. Es ist sozusagen ein Lexikon seiner Zeit und beinhaltet eine typische Sozialtopografie, die sich hierarchisch von oben nach unten abarbeitet und dabei die wichtigsten Regenten, Adeligen und Einwohner erwähnt. Zudem geht die Chronik auf verschiedenste Themenfelder ein: zum Beispiel Sitten, Kleidung, Glauben und Gebräuche. Aber auch Abschnitte zu Brauerei, Weinbau oder Gewerbe und sogar eine Passage mit dem Titel „Von der Polizei“ ist in den über 1000 Seiten zu finden.
Von etwa 1710 bis mindestens 1730 beschäftigte sich der Historiker Knauth mit seiner Chronik. Durchgestrichene Jahreszahlen, hinzugefügte Notizen oder eingeklebte Papierfahnen offenbaren, dass er Textstellen immer wieder , überarbeitet hat. Ob seine Chronik von jemanden in Auftrag gegeben wurde oder das Werk seiner eigenen Leidenschaft entsprang, das kann Lauerwald noch nicht abschließend bewerten.
Zumindest wurde seine Chronik nie per Druck vervielfältigt. Es handelt sich also um ein Unikat – auch für die Geschichte der Stadt Meißen. Im dem umfassenden Sinne gab es so eine Quelle noch nicht“, erklärt er und fügt hinzu: „Vermutlich ist Knauth schlicht am Umfang gescheitert. Es ist durchaus denkbar, dass er bis zu seinem Tod daran gearbeitet hat.“
Stattdessen sind andere Publikationen von Knauth bekannt. Die Sächsische Bibliografie verzeichnet bislang 23 Einträge von ihm. Zum Beispiel die „Kurtze Beschreibung der Stadt Meissen“ . Sie wurde in den 1720er-Jahren publiziert und kann in der digitalen Sammlung der Sächsische Landesbibliothek Staats- und Universitätsbibliothek (Slub) betrachtet werden.
Leichtzulesen sind Knauths Werke nicht. Es braucht etwas Übung, denn die Handschrift ist veraltet und klein. Ein Grund, weshalb es auch dem Meißener Stadtarchiv nicht gelingen wird, die bislang unbekannte Chronik in Gänze zu studieren. Zusammen mit OB Raschke kündigte Lauerwald jedoch an, Erkenntnisse aus der Chronik in das Stadtjubiläum einzubinden. 2029 wird in der Stadt 1100 Jahre Meißen gefeiert.
Die Chronik ist für alle Interessierten, Wissenschaftler, Studenten und Hobby-Historiker zugänglich. Die historische Quelle kann in den Leseräumen des Meißener Stadtarchivs untersucht werden. Das befindet sich auf dem Schulplatz 5, direkt hinter dem Stadtmuseum. Zuvor muss allerdings ein Termin im Stadtarchiv (Tel.: 03521 467312) vereinbart werden.